Montag, Juni 23, 2008

Der Grinser

Das englische "cheesy" ist mit dem deutschen Wort "geschmacklos" nur unzulänglich übersetzt - denn Käse ist hier nicht nur wegen seines ranzigen Geruchs Bildgeber. "Cheese", damit fordert man auch zum dämlichen Grinsen auf. Ein Musterbeispiel einer solchen musterhaften, grinsenden Käsigkeit ist der "Musiker" Alexander Marcus. Zum ersten Mal ist er in seinem Youtube-Video "Papaya" aufgetaucht, einem der irritierendsten Erzeugnisse, die en masse in den Weiten des Internets zu finden sind: In einem schlammigen Badesee planscht, mit aufblasbarem Globus unter dem Arm, ein schmalbrüstiger Mann und singt dazu:

Die Fischer haben's am Feuer erzählt,
es gibt ein Land,
in dem die Liebe regiert.
Folge mir -
nach Papaya.
Das ist Schlagermusik in ihrer allerkäsigsten Ausprägung. Noch furchteinflößender ist jedoch das Grinsen des Sängers: Ein eingefrorenes, gelähmtes Lächeln ... das sowohl einen Schwiegermuttertraum als auch einen kannibalischen Psychopathen oder Pädophilen zieren könnte.
Das Verwirrendste ist allerdings die Musik. Unter dem debilen Sehnsuchtsgesang blubbern -untypsich für einen konventionellen Schlager - Minimal-House-Beats. Und das so elegant, schnittig und pochend, dass sie durchaus in einem seriösen Club um drei Uhr nachts laufen könnten.
Als Internetprojekt begonnen, erschien im Juni die erste CD mit dem Namen "Electrolore". Will heißen: Electro trifft Folklore.
"So schlecht, dass es schon wieder lustig ist". Ein Großteil des Amusements wird wohl dadurch ausgelöst, dass sich die Fans über die Beschränkten lustig machen, die solch dürftige Lieder nicht ohne eine ironische Distanz hören können. Die Ironie von Alexander Marcus ist hier jedoch weitaus subtiler - denn sie transferiert nicht einfach wie bei Dieter Thomas Kuhn oder Guildo Horn das gesamte Genre ins Lächerliche, sie arbeitet vielmehr mit internen Brüchen. Die Musik ist in der Tat so gut produziert, so state of the art, dass man sie nur ironiefrei hören kann, die schrecklichen Texte jeodch bleiben bei diesem Sound vollkommen außen vor, belästigen ihn quasi. Dass eigentlich Paradoxe aber ist, dass sich -rein musikalisch betrachtet - der harmonisch einfache Gesang vollkommen in das minimalistische Beat-Ensemble einfügt. Es funktioniert nicht nach dem Prinzip "gut und schrecklich zugleich", Alexander Marcus verknüpft das Gute und das Schreckliche derart, dass das Ergebnis zu oszillieren beginnt.
Das Anliegen hinter all dem ist wohl die ledigliche Provokation - und Alexander Marcus schafft es immerhin, dem Kopfschütteln auch noch einen Hüftschwung hinzuzuzaubern.

Der Vollständigkeit halber - anhören auf eigene Gefahr:



"Papaya"


Und weil's so schön ist:



"Ciao, ciao bella"


Nachtrag 26.06.08:

Auch das Heute-Journal wurde - sicherlich durch meinen Beitrag bedingt - auf die Angelegenheit aufmerksam. Dort hat man gestern zu diesem Thema berichtet.

4 Kommentare:

  1. [d-pa] zeigt sich wiedermal am Puls der Zeit. Auch ich habe den Namen zuletzt häufig gelesen und mich heute bei youtube schlau gemacht. Nach dieser doch etwas besonderen Erfahrung, kann ich [d-pa] nur zu seiner guten Beschreibung gratulieren. Wobei ich mich dazu hinreißen lassen würde, diese Musik wirklich als "gut klingend" durchgehen zu lassen.

    Ich steuere meinen persönlichen Hit des Tages in geschmacklichen Fragen aus gleich bei:

    EAGLES OF DEATH METAL - I Want You So Hard (Boy's Bad News)

    http://youtube.com/watch?v=uezNXwlSCTc

    Prägend schon der Name der Band: eine Musik zwischen den Eagles ("Hotel California") und Death Metal, aber keins von beidem. Wer kopfschüttelnd nach 20 Sekunden abschaltet, verpasst die Ironie auf das heutige Rocker-gehabe, sowie grandiose Gastauftritt von Jack Black (hinter der Bar), Dave Grohl von den Foo Fighters (an der Bar dr Typ rechts) und Josh Homme (mein persönlicher Gott/ QOTSA). Und wenn die nicht für spaßige Güte stehen, wer dann?

    An Eingängigkeit ist es vielleicht sogar mit Alexander Marcus zu vergleichen, denn den ganzen Tag singe ich schon "Cherry Cola" und "1,2,3"...

    Da soll mal einer schlechten Geschmack kritisieren :D

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  2. Absolut zum schießen, aber mal im Ernst wie konntest du es missen dich noch über die grauenhaften rosa Hosen lustig zu machen. Deshalb hol ich das mal schnell nach:

    Besondere Beachtung sollte jeder Betrachter auch auf die Kleiderwahl des Darstellers legen, egal ob in rosa engen Hosen und Netzbehang oder im rosa BWLer Look inklusive Jeans nach dem Aufwachen, der Darsteller ist immer 'mehr oder weniger' top gestylt. Mir drängt sich förmlich die Frage auf, welche Art von Drogen wohl der Stylist genommen haben mag? Falls, wie ich annehme, kein Stylist vorhanden war erübrigt sich zwar diese Frage, jedoch liefert das wenigstens eine Erklärung für diese Phänomen.

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  3. In "Papaya" offenbart sich im Übrigen das Drogenproblem von Alexander Marcus: Mit Gürtel abgebundener Arm, Löffel auf dem Boden, ...

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  4. ... und ist dabei auch noch top gestylt!

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